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Timm Ulrichs
Museum Ritter, Waldenbuch, 9.5. - 19.9.2010

Der Kunst-Spiegel von Timm Ulrichs

Fotos und Text von Wojciech Sztaba.
Bilduntertitel nach Texten von Timm Ulrichs in: Timm Ulrichs Blick zurück nach vorn, Katalog der Ausstellung, Hsg. Gerda Ridler, Museum Ritter, Sammlung Marli Hoppe-Ritter, Waldenbuch 2010

Den Text, den Timm Ulrichs dem Katalog seiner Ausstellung im Museum Ritter beifügte, sollte man aufmerksam lesen, denn dort skizzierte er anhand von „Reflexionen und Spekulationen über Spiegel und Spiegelbilder“ (so der Titel) ein allegorisches Bild der Kunst als Spiegel der Welt, in dem man auch den Künstler selbst als Figur erkennt: Führte doch der Till – Timm – Eulenspiegel einen Spiegel als Attribut im Schilde.

Die Eulenspiegel aller Zeiten – wie Yorick, Breughel, Chaplin, Buster Keaton, Duchamp, Schwitters, Tati oder Loriot, treten als eine moralische, wenn auch zum Lachen bringende Instanz auf; sie halten den Mitmenschen keine Predigt, sondern lediglich einen Spiegel vor, in dem sie sich zuerst sehen, um glaubwürdig zu bleiben. Wie man dabei den Spiegel hält – in welchem Winkel, in welcher Höhe – das macht eben die Kunst aus.

Das Leben mit dem Kunst-Spiegel in der Hand, wenn es nicht zur Ausübung „des selbstverliebten, zur Selbstausbeutung geneigten Ichs“ dient, kann durchaus zur gesteigerten Wahrnehmung führen. Der Spiegel demonstriert, wie die Dinge der Welt durch die Umkehrung plötzlich deutlicher erscheinen und ihre gewöhnliche Bedeutung verlieren. Nicht nur Objekte, sondern auch Worte, Begriffe prallen gegen die Spiegelfläche und werden gen Beobachter zurückgeworfen. Der Spiegel zwischen uns und der Welt ist somit ein willkommenes Hindernis, das einem die Gelegenheit schenkt, sich die Bilder von Sachen gründlicher anzusehen. Man nennt dieser Zustand des Geistes – Reflexion, und die ist immer Bestandteil von Ulrichs Objekten, auch dort, wo ein echter Spiegel fehlt. Dieser Spiegel kann nicht groß genug werden, um das Weltliche darzustellen. Er könnte an die Hausfassaden in den Städten angebracht werden, die ganze Theaterbühne einnehmen, oder als Spiegelwand auf Besucher warten und somit eine ganze Ausstellung ersetzen.

Nimmt man diese Kunstauffassung mit in Ulrichs Werkschau in Waldenbuch, dann erkennt man in allen echten und virtuellen Spiegeln in diesem „lustigen“ Parcours Umrisse eines großen Vanitas-Bildes, das viele Arten der Nichtigkeit und Eitelkeit des Irdischen demonstriert und demontiert. Witz und Humor mildern die oft bitteren Erkenntnisse. Die subversive Strategie besteht darin, dass die Objekte als Antworten formuliert sind und die Betrachter selbst die passenden Fragen stellen müssen. Sagt ein Würfel mit lauter Sechsern etwas über den Zufall aus oder über das Gewinnen und das Glück, diese Quelle der Freude und des Kummers? Die rotierenden runden Spiegel: Zeigen sie die Beschaffenheit des Spiegelbildes, oder stellen ein eigenartiges Triptychon in Form von riesigen „drei Punkten“ eines Auslassungszeichens im Kontext der Ausstellung dar? Und die vielen Objekte über die Vermessung der Welt? Verspotten sie die seelenlose Genauigkeit, oder weisen auf etwas hin, was unmessbar bleibt? Dieses Frage- und Antwort-Spiel führt Ulrichs sehr im Geiste der Dadaisten, wie damals Tristan Tzara in seinem Theaterstück „Das Gasherz“, wo eine Art Versteigerung der Liebe stattfindet: Wie groß ist sie eigentlich – 10 oder 20 Meter, oder noch größer?

Nach der Ausstellung von François Morellet ist diese von Timm Ulrichs schon fast richtungweisend für das Programm des Museums Ritter: Beide sind Künstler, die im Lachen eine philosophische Dimension erkennen, und sie dann mit Leichtigkeit in Kunst auszudrücken wissen.

Timm Ulrich. Blick zurück nach vorn,
MUSEUM RITTER, Sammlung Marli Hoppe-Ritter, Waldenbuch
www.museum-ritter.de

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