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SZTABA Die Welt nach Neo Rauch

Ein Rätsel also, wenn Sie es wollen. Nach all den Jahren der Anekdoten-Abstinenz redet die Kunstwelt mit spürbarer Erleichterung über Rätsel und versteckte Botschaften. Und Neo Rauch malt Bilder dazu.

Er macht aber keine halben Sachen, er geht aufs Ganze. Nicht etwa wie die Klassiker des Surrealismus, die jedes Bild als ein einzelnes, ein wenig verschlüsseltes Bilder-Gedicht konzipierten. Bei Neo Rauch hingegen sind alle Bilder, die er malt, Detailaufnahmen einer einzigen Megastory. Der Megastory.

Die Mega-Geschichte erzählt, wie sonst, vom Anfang, und, gleichzeitig, vom Abgang der Welt. Nach Neo Rauch ist diese Geschichte eine groteske, tragikomische, absurde, lächerliche Apokalypse, die schon am Anfang der Schöpfung ansetzt. Sie ist so skurril, dass man nur hoffen kann, dass sie woanders passiert, vielleicht auf einem weit entfernten Planeten der Galaxis.

Erinnern Sie sich noch daran? Haben Sie die Sci-Fi-Comic Hefte und Filme wie Star Wars und Star Trek gesehen, und Bücher wie, eben, „Per Anhalter durch Galaxis“ von Douglas Adams gelesen? Dann müssten Sie wissen, dass an einem schönen Tag eine Nachricht aus den kosmischen überirdischen Lautsprechern kommen wird: In Kurze wird das Experiment „Erde“, oder „Menschheit“ beendet. Schluss der Vorstellung. Es klappt wirklich nicht. Das Unternehmen ist zu absurd, zu lächerlich und zu teuer. Stopp. Klappe. Cut.

Noch bevor das gescheiterte Projekt ausgelöscht wird, liefert uns Neo Rauch Standbilder aus der Realisierungs-Phase, oder, wenn man will, aus dem Drehort, wo gerade noch die Story gefilmt wird. Anhand der Bilder kann man die Details ganz genau studieren und manches fällt dabei auf.

Vor allem, dass das Projekt nicht vor Inbetriebnahme auf Zweckmäßigkeit und Funktionalität geprüft worden ist. Man hat eher den Eindruck, dass es eine Reihe von spontanen Erfindungen (Schnapsideen) war, die dann spielerisch auf Tauglichkeit ausprobiert sein sollten. Manchmal glaubt man, dass das Szenario aus einem anderen Film stammt, dass es eine Verwechslung ist, die die Akteure nicht zu bemerken scheinen und die falschen Geschichten und Rollen munter weiterspielen.

Und noch etwas: Das Projekt ist nicht fertig. Es ist eine riesige Baustelle, wo von Bautrupps nur so wimmelt. Das Tun, das konzentrierte Ausüben der gegebenen Beschäftigung, beherrscht die Bühne. Die Männer schleppen, montieren, binden zusammen, graben, stellen auf, streichen, hämmern. Und all das, was sie machen, ist völlig absurd. Ihre scheinbar zielsicheren Aktivitäten bestehen aus automatisch ausgeführten Folgen eines unbekannten Programms. Oder sind das mehrere unbekannte Programme, die simultan nebeneinander abgespult werden?

Was die Bevölkerung dieser Welt betrifft (Männchen, Weibchen, Androiden?), dann ist zu bezweifeln, ob sie sich ihrer Sexualität bewusst ist. Vielleicht reproduzieren sich diese Wesen nicht, und bekommen Babies auf demselben Weg, wie es Puppen im Puppenhaus tun. Trotz gemeinsamer Aktionen gibt es kaum Kommunikation zwischen ihnen. Dialoge sind zwar im Szenario eingeplant, aber die Beteiligten scheinen nicht zu wissen, wozu Gespräche gut wären. Und so bleiben die Sprechblasen leer: Sie verbergen keine Geheimnisse, keine unausgesprochenen Weisheiten - es sind einfach nur Löcher im Raum. Nichts mehr.

Den Sinn aller Programme kennt vielleicht nur der Schöpfer dieser Anlage. Wie ein spielendes Kind, das der einzige Herr im Kinderzimmers ist, merkt er nicht mal, dass das Spielzeug aus vielen Spielkästen kommt und die Teile nicht zueinander passen.. Zu groß, zu klein, aus verschiedenen Materialien, mal künstlich, mal echt, mal nur eine mit Latten gestützte Kulisse aus Sperrholz. Die Vision des Spielleiters gleicht diese Unterschiede aus: Papier-Menschen agieren vor seinen Augen „wie im Leben“ im Modelleisenbahn-Parcours mit gemalten Hintergründen.

Aber wer spielt eigentlich diese Welt? Wer ist der Projektleiter? Jemand wie der alte Schöpfer? Ein kosmischer Ingenieur? Oder doch ein Kind, jemand wie der schlafende König, der Alices Wunderland träumt? Sind das nur surreale Fantasien, die Neo Rauch mit Leichtigkeit erfindet? Und wir, die von dem Spektakel fasziniert stehen bleiben, sind wir das Publikum oder vielmehr Schauspieler, die sich selbst betrachten?

Im Grunde erfüllt die „Welt nach Neo Rauch“ alle Voraussetzungen für eine solide Allegorie. Die grotesken und fantastischen Figuren verkleiden die Realität, so wie es etwa Hieronymus Bosch in seinen Bildern oder Rabelais in den Abenteuern von Pantagruel getan haben. Die allegorischen Szenen spielen ganz nah bei uns, in scheinbar fremden Räumen und Kostümen. Die Kulissen verbergen keine geheime Botschaft, sondern sind Teile dieser Neuauflage der Bühnen- und Weltmetapher. Deren Themen und Figuren findet Neo Rauch in Bildern und Beschreibungen von Sitten und Gebräuchen der heutigen Gesellschaft, die genug Unsinn für seine illustrierte Endzeit-Simulation liefern. Auch die Erinnerungen an die Bilder aus DDR-Zeiten gehören zu dem breiten Panorama.

Die klassischen Textvorlagen, die Genesis und die Apokalypse, fehlen bei der Lektüre der Allegorie. Für seine Weltgeschichte hat Neo Rauch sie neukonzipiert. Im Vergleich zu den Vorbildern sind die neuen Geschichten weniger pathetisch und umso mehr absurd und lächerlich.

Dezember 2006