Impressum

Thomas Huber

Ausstellungsansicht

In der Tübinger Ausstellung zeigt Thomas Huber 50 Bilder, die man sehen kann und eines, ganz am Anfang des Rundgangs, das für die Besucher unsichtbar bleibt. Sichtbar ist nur ein mit „T.H.“ signierter Text, der die Gründe des Entzugs mitteilt: Es wäre unzumutbar, ein komplexes Werk des Künstlers, das Ergebnis seines ganzen Lebens, den schnellen, oberflächlichen, ignoranten Blicken der Zuschauer auszuliefern. „Nein, Sie können das Bild nicht sehen.“

Es ist unklar, ob das Bild nur im Atelier des Künstlers für Auserwählte zugänglich wäre. Oder sogar nur der Künstler sein „unbekanntes Meisterwerk“ sehen dürfe. Oder ob das Text-Bild auf der Wand eine rhetorische Figur, eine Parabel, ein Kommentar des Künstlers zur alltäglichen Kunsterfahrung wäre? Über das Unheil der schnellen Blicke wusste auch Paul Klee und empfahl dem Publikum einen Stuhl als Sehhilfe.

Die 50 sichtbaren Bilder darf der Betrachter allerdings ohne Vorbehalt beschauen. Sie stellen fiktive Räume dar, sie sind minutiös konstruiert und zeigen auch, wie sie konstruiert wurden. Alles ist hier sichtbar, die Regeln der Perspektive gewähren der Wahrnehmung eine Zuversicht (auch bei manchen demonstrierten Sonderbarkeiten) und das, was man nicht sieht, glaubt man auch außerhalb des Bildes nicht sehen zu können, so wie man durch Wände nicht schauen kann...

Zu der Art der „richtigen“, „unsichtbaren“ und durch die Unerreichbarkeit viel versprechenden Bilder scheinen jedoch die Ausstellungsobjekte nicht zu gehören. Es scheint, dass diese Bilder eher Bild-Modelle, Bild-Modalitäten sind, die die Funktionen der Abbildung auf zweidimensionaler Fläche attraktiv, witzig und malerisch anschaulich machen. Eine gemalte Bild-Gebrauchsanweisung – das ist die Art der Malerei, die der Maler dem Publikum zutraut und gönnt.

Diese Gebrauchsanweisung ist immerhin sehr lehrreich und verführerisch fotogen. Wie in einem Glasperlenspiel werden in den gemalten Räumen die wichtigen Momente der Kunstgeschichte vorgeführt, hier treffen Ideen der Künstler zusammen, die damals glaubten, das Bild wäre ein Fenster zur Welt und die Konstruktion des Bildraumes eine Formel des Lebens – von Alberti und Ucello über die Holländer und Velazquez bis zum Bauhaus und Frank Stella. Hier und da findet der Besucher in den Bildern Andenken an die Künstler-Raumforscher: Fenster, die auf Welt-Aussichten warten, Räume, die sich vervielfältigen, oder die kugelförmigen Bauhauslampen, die an das von der Decke hängende Straußenei auf dem Bild von Piero della Francesca erinnern. Wer an diesen Lektionen der Kunstbetrachtung teilnehmen will, findet auch genug Stühle, die in den gemalten Räumen bereit gestellt werden.

Die perspektivischen Meisterübungen finden ihre Verlängerung in den realen Räumen der verschachtelten Säle und Kabinette der Tübinger Kunsthalle. Der Blick entdeckt immer neue Perspektiven, vom Künstler selbst entworfen, und irgendwann merkt man, dass die ganze Ausstellung ein Labyrinth sein könnte, in dem man sich im Kreis dreht und an den selben Ort zurückkehrt. Die fiktiven Türen führen in die fiktiven Räume, die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich alle gleichen, ist sehr hoch und außerhalb der Räume gibt es sowieso nur einen gemalten Horizont. Was natürlich nur eine Metapher ist, unter vielen in Hubers Bildern, die sich meistens auf den Ort der Kunst und dessen Zubehör beziehen: Wie das Bild im Bild, vor dem eine gemalte Grube auf einen unaufmerksamen und in seinen Urteilen voreiligen Besucher lauert.

Immer wenn die Kunst über Kunst nachsinnt, gesellt sich zu ihr die Melancholie. Sie bringt die dunklen Gedanken mit – an die Vergeblichkeit, Unzulänglichkeit, an die unerfüllten Versprechen der Welt- und Sinnvermessung, an das, was ungesagt bleibt. Die Perspektive, als dritte allegorische Figur im Bunde, weiß diese Unzufriedenheit auszudrücken, denn obwohl alles durch die Bildkonstruktion definiert und alles vermessen wäre, bleibt, man ahnt es, vieles verborgen und unausgesprochen. Die Bilder sind zwar vollendet, aber zugleich im Zustand dauerhafter Unfertigkeit: Immer wieder treffen wir auf eine Baustelle mit Gerüsten, Bauplänen und Baumaterial wie Linien, Ecken, Flächen und Farbmustern.

Das Bild als eine Bühne, auf der man auf das Erscheinen eines Bildes wartet, auf Geschichten, Ideen, Emotionen, Gefühle (was auch immer die Künstler zu übermitteln pflegten) – diese Bühne ist hier endgültig leer. Oder nicht?

Ausstellungsansicht

Das Museum, das seine Bilder kontempliert, stellt vielleicht das unsichtbare Bild dar, das alle Bilder der Ausstellung in sich einschließt.

Dazu ein letztes Bild, „live“ in der Ausstellung gesehen: Mit Besuchern, die von einem Saal zum anderen, Treppe hoch, Treppe runter gehen. Und als sich die vom Künstler persönlich geführte Gruppe vom obersten Saal der Kunsthalle nach unten zum Ausgang begibt und schon in der Wandöffnung zwischen den Etagen verschwindet, taucht aus der Menge im letzten Augenblick eine Hand auf, die im Vorübergehen mit dem Finger auf ein kleines Bild zeigt, ein grau in grau gemaltes Supraportabild, das ein großes Supraportabild über einer kleineren Türöffnung darstellt. Nur die Langsamsten der Besucher konnten es bemerkt haben.

Text & Fotos: Wojciech Sztaba

Thomas Huber, Rauten traurig.
Eine Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen
17. Januar – 19. April 2009

weitere Texte