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marek CHLANDA Der Zeichner

Der Zeichner lebt kürzer als seine Zeichnungen und es interessiert ihn nicht, was die Zeichnungen zu seinen Lebzeiten für ihn tun werden.
Das Ritual des Zeichnens kann dem Zeichner, obwohl es nicht muss, die Ernährung und ein Dach über dem Kopf geben.
Das Ritual des Zeichnens kann dem Zeichner Ruhm bringen. Bestimmt bringt es ihm keine Schmach.

Lebt der Zeichner so, wie er zeichnet, wird er alles, was möglich ist, erreichen. Er wird das erreichen, was im Alltag ignoriert ist -
er wird das Feuer des Urzeichners einfangen und aufbewahren.

Der Zeichner darf nicht lamentieren. Seine Klage kann einen Hagelschlag hervorrufen, und ein Hagelkorn kann einen Unschuldigen treffen.

Die Gleichgültigkeit eines Nicht-Zeichners dem Zeichner gegenüber unterstützt seine Freiheit.
Das Streben nach der Akzeptanz und eine vorgetäuschte Solidarität mit Nicht-Zeichnern führt geradeaus
zum Vernachlässigen der eigenen Arbeit.

Die von niemand und nichts erzwungene Arbeit des Zeichners ist stark dank seiner Einsamkeit.
Sie ist stark, weil sie nicht dem Bereich der Allgemeinheit und des Alltags angehört.

Die Arbeit des Zeichners ist eine dramatische Erfahrung der Transzendenz und gründet die Ordnung
des Glaubens an die eigene Kraft des Vollbringens von Wundern. Die Zeichnung ist solch ein Wunder;
sie ist keiner Sache ähnlich und vergleichbar, sie ist einzig.
Die erste.
Allein.

Die Zeichnungsformen - „die Schauspieler und Tänzer“ -  sind einzig und außergewöhnlich,
in einer einzigen und außergewöhnlichen Situation.
Sie sind nicht gegen jemand oder gegen etwas, nicht für jemand und für etwas.
Sie passen sich nur an die Bedürfnisse der Zeichnung an. Sie nisten sich in der Zeichnung ein.
Sie sind voll Liebe. Die Gewalttaten und Machenschaften des Alltags sind ihnen fremd.

Die Formen - „die Schauspieler und Tänzer“ - sind der Anfang und das Ende, sie enthalten ihre ganze Schöpfungsgeschichte, die fern der Schulerfahrung ist.
Sie nehmen nichts und geben nichts.
Sie sind Zeugen der Reinkarnation der Hand des Urzeichners, der, immer wenn er nach Formen begehrte,
sie durch seine geistige Motorik sofort abrufen konnte.

Die Formen  -  „die Schauspieler und Tänzer“ – wirken im vollen Licht und verachten die halbbeleuchtete zeichnerische Halbwelt.

Wenn der Beobachter der Zeichnung einen begabten Willen zur Aufnahme von Formen „der Schauspieler
und Tänzer“ in sein eigenes Haus besitzt – dann hat er gewonnen.

Der Akt des Zeichnens ist extrem intim.
Das Gesicht des Zeichners ist stumm, obwohl er manchmal zu sich selbst während des Zeichnens spricht.
Nur im Notfall benutzt er solch hässliche Wörter wie „der Inhalt“, „die Komposition“ oder „ein köstliches Schwarz“.
Wenn er sie missbraucht, dann verliert er seine Einsamkeit.

Der Zeichner sucht nicht nach einer Verständigung.

Niemand erfährt, was der Zeichner tut, wenn er zeichnet.

Der Zeichner will niemand durch den Ernst seiner Aktivität beeindrucken.
Manchmal lächelt er, aber nie zwinkert er einem zu.

Der Zeichner ist langsam und genau. Durch die langsame Präzision protestiert er gegen die schnelle und gewaltsame Flucht der Bildnisse. Der Kopf des Zeichners ist wie eine geheime Truhe, die ihre Schätze verbirgt. Durch schnelle und gewaltsame Bildnisse wird der Kopf des Zeichners zu einem Rohr.

Der Zeichner beschäftigt sich mit den letzten Dingen.
Er ist ein Eschatologe.

Der falsche Zeichner gibt sich dem Aberglauben hin und ertränkt Zeichnungen in der Melancholie
und bei den Ämtern.
Sagt der Zeichner, dass er es zu einem Haus, einem Auto und einem Flugzeug gebracht hat,
dann sollte man ihn missachten.
Sagt der Zeichner, dass er es zu einer Mappe mit Zeichnungen gebracht hat, dann sollte man ihn achten.

Der Zeichner, der ununterbrochen sein Geschäft wahrnimmt, erreicht einen Scheinerfolg und landet schnell auf der Entenbahn. Den wahren Erfolg erreicht er dann, wenn er seine innere Disposition wahrnimmt.

Der Zeichner, der schnörkelt, ist wie ein altes, kreischendes Weib.
Der Zeichner, dessen Hand wie verrückt läuft, ist ein falscher Messdiener des zeichnerischen Elends.

In die Schlucht der Zeichnung kann jeder eintreten.
Ein Nicht-Zeichner kann hineinfallen und nachdem er sich lange an den Wänden gestoßen hat,
wird man über ihn sagen können: der ist ein Zeichner.

Der Zeichner, der mit niedrigsten menschlichen Instinkten, stumpfsinniger Neugierde und versteckter Grausamkeit spielt, der wird die Luft in der Schlucht vergiften.

Der Zeichner, der seine Neigungen sublimiert und überheblich ist, der wird ebenso die Luft vergiften.

(Juli 2000)                             Übersetzung: W. Sztaba

Marek Chlanda, geb. 1954 in Krakau, Polen. Zeichner, Bildhauer, Performer
Studierte an der Akademie der Schönen Künste, Krakau
Ausstellungen u.a. in Warschau, Lodz, Krakau, Kopenhagen, Paris, Stuttgart, Köln, Tel Aviv.

s. auch: Tranzyt, Uzdrowisko