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Come As You Are
Kunstraum Morgenstrasse, Karlsruhe

Ausstellungsansicht

Ein Porträt: wie du bist, wie du warst, wie ich dich sehen möchte

Die beiden Kuratoren des Kunst-Geschehens in der Morgenstraße (das Wort „Ausstellung“ passt nicht ganz genau zu dem, was hier stattfindet), Martin Heus und Jakob Birken, haben mit der Kunst der Anderen ein Werk geschaffen, ein Remix aus sorgfältig ausgewählten Kunstwerken.

Fünf Künstler: Bruce Naumann, Axel Philipp, Tobias Trutwin, Jim Campbell und Via Levandowsky zeigen jeweils eine Arbeit, wie ein Wort, wie ein Satz. In dem kleinen Raum ist alles in der Sicht- und Hörweite, die Formen und die Stimmen dieser Kunst-Conversazione klingen deutlich und klar. Der Raum erweist sich als Medium der ästhetischen Erfahrung, des Augenblicks der Wahrnehmung und des Gefühls.

Die Installation trägt einen Titel, der aus einem Nirvana-Song stammt: „Come As You Are“. Der Song geht weiter mit den Worten: „As you were / As I want you to be“ und erinnert daran, dass ein Bild eines Menschen sich aus Sehnsucht, Verlangen und Versöhnung zusammensetzt. Es gibt noch einen zweiten Titel, einen Bild-Titel, der den Wort-Titel ergänzt; man sieht dieses Bild vom Außen, auf der Fassade der Galerie, es besteht aus vervielfältigten und das ganze Fenster füllenden Gesichtern Jesu aus dem Turiner Tuch. Dieses Fenster macht aus der Galerie vorübergehend eine Kapelle.

Innen wird das Fenster durch eine leere, weiß gestrichene Wand verdeckt. Davor liegt auf dem Boden ein Stapel rosa Papier-Blätter von Bruce Naumanns Szenario „Body Pressure“ – eine Art Gebrauchanweisung für die Besucher. Die Wand spielt hier eine Doppelrolle, der Performance-Bühne und zugleich der Projektionsfläche für Gedanken und Gefühle. Das Stück findet im Kopf und im Körper statt, man sollte sich dicht an die Wand stellen, sich an sie pressen, den eigenen Körper und die Berührungsflächen fühlen, und dann auch einen anderen Körper, einen imaginierten Körper hinter der Wand ...

Das Gesicht Jesu im Fenster erscheint noch einmal im Galerieraum auf der gegenüberliegenden Wand - in einer Arbeit von Tobias Trutwin. Allerdings ist es versteckt in einem Transparentbild, das aus vier sich überblendenden Gesichtern besteht - alle Opfer eines gewaltsamen Todes. Aber es ist nicht sicher, eher eine Vermutung, was man in diesem Vera Icon wirklich sieht.

Daneben eine Bilder-Gruppe von Axel Philipp von kleinformatigen abstrakten Formen, die auf weißen Schachteln montiert sich von der Wand abzuheben scheinen. Die unmaterielle Eleganz dieser Arbeiten gewinnt plötzlich an Materialität, wenn man erfährt, dass die Bilder Spuren eines harten, physischen Prozesses sind: Geschickt von der Künstlerhand gesteuert entstanden auf Schmirgelpapier Abbilder, die durch Abreiben des Werkzeugs und des Objektes sichtbar geworden sind. Was waren die ursprünglichen Formen, bevor sie zur Form wurden?

In der Nische wird in einer Installation von Jim Campbell ein Klang-Porträt des Künstlers Paul DeMarinis erstellt: Ein Richtmikrofon nimmt seine Stimme, eine ununterbrochene Abfolge von Lauten in variierender Tonhöhe, von einem Lautsprecher auf und schickt sie weiter an einen Bildgenerator – auf einem Display, in einem groben Raster erscheint dann, Punkt nach dem Punkt, eine undeutliche Gestalt eines Gesichts. Der Besucher kann sich zwar selbst in den Prozess einschalten – aber nicht nachhaltig, und dieser hypnotische Dialog vom Klang und Bild, die sich einander kontemplieren, geht weiter.

Am hellsten Platz im Raum, beim Fenster, ist eine Arbeit über das schwarze Loch der Moderne platziert: „Shadow of your smile (Schwarzes Quadrat, zentrifugal)“ von Via Lewandowsky. Das Bild mit der Ikone der neuen Kunstgeschichte musste wohl frisch gemalt gewesen sein als es mit der Vorderseite an die Wand gehängt und um die Achse gedreht wurde, denn es hinterließ eine verwischte schwarz-weiße Spur. Der Ikonoklasmus der geometrischen Abstraktion trifft hier auf den Ikonoklasmus des abstrakten Expressionismus und diese Kunst-Begegnung erinnert mit einem leisen Lächeln daran, dass das Abstrakte und das Konkrete doch eng verwandt sind.

Es ist nicht so, dass Heus und Birken die ausgestellten Werke zum eigenen „Text“ ausnutzen, wie es oft der Fall ist, wenn Kunst zur Illustration kuratorischer Ideen dient. Das Thema „Porträt“ verbindet zwar die Exponate, sie bleiben aber einzigartig und miteinander nicht vergleichbar. Um so deutlicher ist die Balance zwischen den einzelnen „Worten“ der Ausstellungs-Komposition. Selten erfahren Kunstwerke solch eine artgerechte Platzierung und Bereicherung durch Kontexte, die öffnen und nicht begrenzen. Hier wird sogar die schneeweiße Wand zu einer diskreten Fassung, die den Arbeiten den Charakter des Kostbaren verleiht.

Text & Fotos: Wojciech Sztaba

Ausstellung kuratiert von Martin Heus und Jacob Birken
Kunstraum Morgenstraße, Morgenstraße 45, Karlsruhe
10. April – 9. Mai 2010

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