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W.Sztaba John Cage in Waiblingen
Über die KontinuitÄt

Ausstellungsansicht


Hier, in dieser Cage-Ausstellung, ist die Musik keine Abstraktion, sie ist materiell, man kann sie sehen: in der Ecke steht ein geöffneter, präparierter Konzert-Flügel, zwischen seinen Saiten stecken Schrauben; an den Wänden hängen Kopfhörer, die für die Besucher die Klänge bereithalten. Die Bilder und Objekte fügen sich in diesen All-Kunst-Raum ein, die Zeichnungen, Grafiken und Aquarelle sehen so aus, als ob sie Anweisungen für Musiker oder von Cage erfundene Spiele wären, an denen man gerne teilnehmen möchte: Ein Blatt Papier zu einem japanischen Steingarten erklären, das altchinesische I-Ging nach der Lage der Steine befragen, diese dann mit Bleistift einkreisen. In der Mitte des Raumes liegt ein Schachbrett.

Zwischen einer Saite und einem Sonnenuntergang, schrieb Cage in Silence, entsteht eine Kontinuität, und sie ist es, die die Poesie ausmacht.  

Wenn man still ist, wenn man hört und schaut, kann man sich in den Lauf der Kontinuität einschalten, jederzeit und überall: auf der Straße, im Zug, auf dem Feld, im Zimmer, im Theater. Oder im Konzertsaal, während das Klavier „schweigt“ in der Aufführung von 4‘33“ von John Cage.
Kontinuität, das ist die empfundene, interesselose, erlebte Dauer, die Polyfonie der Zeit und der Zusammenhänge, ununterbrochener Ablauf der Dinge. Ein Fluss von Geräuschen und Bildern, die du in deinem Kopf, in dieser Körper-Zentrale, diesem Empfang aller eingehenden Sinnes-Impulse registrierst und in deinen Körper einbettest. Kontinuität, das ist ein Reigen von Erscheinungen in Zeit und Raum, sie führt von Objekten und Bildern zu Stimmen und Tönen, von Menschen und ihren Gesten zu Gedanken und Ideen. Ob es Musik ist, oder eine Zeichnung, ein Text oder Objekte, ist nicht wichtig, alles trifft in diesem Fluss zusammen, ohne Grenz- und Besitzansprüche und wird wie in einem Flow wahrgenommen. Fluxus eben.


Diese Ausstellung kann man wie einen Kontinuitäts-Generator nutzen. Es gibt dort „fest montierte“ Elemente: den Galerieraum mit seinen Wänden, Trennwänden und Podesten; die großgeschriebenen Gedanken von Cage und deren ausgefallene Typografie; die Haikus, auf dem Boden verstreut; die Bilder – Zeichnungen, Aquarelle, Grafiken – einzeln und in Serien, angeordnet wie lange, rhythmische Sätze, begleitet von Etiketten, zum Teil handgeschrieben, mit kurzen Texten, die die Werke nicht interpretieren, sondern schlicht beschreiben. In den Vitrinen – Bücher, Objekte, Steine und Bleistifte, deren Spuren man in Grafiken und Zeichnungen wiederentdeckt. Die Texte erzählen auch viel über die Rolle des Zufalls und die Verwendung des I-Ging.  


Und dann gibt es noch Elemente, die sich ständig ändern, die wir selbst mitbringen und selbst herausholen – durch unsere Anwesenheit, unsere Gedanken und Beobachtungen. Man lässt, ohne etwas zu erwarten, einfach alles, was sich in dem Raum befindet, spielen und klingen – die Geräusche, die Gespräche, die Bewegungen. Das Licht, Lichtreflexe, Schatten und Spiegelungen in Glasrahmen und Vitrinen.
Die Zitate, auch wenn sie aus Büchern, aus ihrem Element, herausgenommen wurden, vermögen die tröstende, zuversichtliche Ruhe des Weltprojekts von Cage zu vermitteln – sie bewirken, dass man sich hier, in diesem Kunst-Raum wohlfühlt, wie zu Hause in der Welt: „Wenn sich die Kunst dem täglichen Leben annähert, wird sie uns dessen Schönheit erschließen.“  

Die alten Fragen, („ist das Kunst?“), die wir für theoretisch gelöst glaubten und die sich immer noch, wie Bodensatz, sammeln, diese Fragen, diese Reste eines anderen Denkens sind in diesem Fluss nicht mehr da, unnötig, weggespült.

Text & Fotos: Wojciech Sztaba, 20. Juni 2009


John Cage. Kunst = Leben.
Galerie Stiehl, Waiblingen, 14. Juni bis 20. September 2009

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