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Katinka Bock
Ein Rätsel im Museum

 

Ausstellungsansicht

Etwas für die grauen Zellen, nicht nur für die Netzhaut, soll, meinte Duchamp, die Kunst uns liefern: Schönheit als ein Feld für Denkspiele.

Die Installation von Katinka Bock bildet einen unsichtbaren Raum, der im Kopf des Besuchers, oder eher gesagt – des Mitspielers, nach gegebenen Koordinaten entsteht. Wie in einem imaginären Aquarium befinden sich dort rätselhafte Komponenten: sichtbare und unsichtbare, Dinge und Ideen, Körper und Metapher, Abstraktionen und Poesie, denen man in verschiedenen Perspektiven begegnet.

Das Ganze wird von einer „Raum-Komposition“ zusammengehalten, in der Anordnung der Teile in wohl balancierter Harmonie. Die Koordinaten inbegriffen: die Länge (eingespanntes Drahtseil, verankert in Basaltsteinen), die Höhe (ein 8 Meter hoher Teleskopstab, der sich vom Boden bis in die Decke „bohrt“), auch die Dichte ist angegeben, in zweierlei Messwerten: der Breite (verstreute kleine Tonwürfel) und der Tiefe (ein Stapel „weicher“ Tonplatten). Da es ohne Spannung und Spannungsrichtungen keine gute Komposition gibt, hängen an dem Seil zwei verschiedene Behälter (eine „Vase“ und eine „Schale“); sie sind mit Wasser gefüllt, das entsprechend unterschiedlich schnell verdampft und in dieser Weise die Spannungsänderung im Lauf der Zeit sichtbar macht.

Man denkt an die Zeit danach, um sich diese und andere Veränderungen der Objekte vorzustellen: Auch die aus Ton werden weiter schrumpfen, die Risse werden noch größer. Man wird auch aufgefordert, entgegengesetzt in die Zeit zu denken: Wie war es hier vor der Installation, sogar bevor der Raum zum Museum wurde? Eine weiße Papierrolle hängt vor der Wand: Eine Tapete, die gleich angeklebt wird? Oder eine Schriftrolle, denn auf der Rückseite entdeckt man die fehlende Überlieferung: ein Foto aus der Zeit „vor“ dem Museum, das ein Graffiti zeigt. Aus dieser Vorgeschichte des Raumes stammen auch Abdrücke der Autoreifen – eine nachgestellte Spurensicherung in Ton, die an die Zeit erinnert, als an dieser Stelle noch ein von Autos und Straßenbahn befahrender Tunnel verlief.

Im Zentrum eine geheimnisvolle Gruppe, „Geschwister“: zwei Platten aus Ton, übereinander, oben ein Stapel weißes Papier. Nebenan ein Tisch auf zwei Beinen, verankert in der Museumswand, der einen schweren Steinblock unterm Tischblatt trägt … ein ungleiches Paar, das eine Figur bildet, die, glaubt man, eine versteckte Bedeutung verbirgt. Man denkt dabei an andere Zeichen, die sich im Raum wiederholen: an die Zahl 2, an die zwei „Geschwister“ (die Tonplatten und ein Foto, das ein weißes Blatt Papier gehalten von zwei unsichtbaren Personen darstellt), an die Anspielungen an die vier Elemente – die Erde (Ton, Stein), das Feuer (eine Videoarbeit mit brennenden Teelichtern), die Luft (die Diaprojektion mit Bildern des Himmels) und das Wasser, das entweder verdampft oder in einen Filzbehälter tropft.

Zeit, Raum, die vier Elemente, die Zahl, die Verwandtschaft, die Kunst (das Museum) – alles erinnert an alchemistische Zutaten und stellt eine Herausforderung für Denkspieler dar. Nachhinein zeigt dieses Rätsel immer deutlicher auch seine Schönheit.

Text & Fotos: Wojciech Sztaba

Kunstmuseum Stuttgart
Frischzelle_12
6. März bis 6. Juni 2010

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