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Antoni Porczaks Streichhölzer


     
 

W. Sztaba:
Eine Spieleinleitung


 

Im Land der Riesen, in Brobdingnag, wo Gulliver nach seinen Abenteuern auf der Insel Liliput eintraf, ist alles gigantisch, entsprechend der Größe seiner 24 Meter hohen Bewohner.
Im Land der Kunst gibt es viele Durchgänge zu dieser Welt. Einer führt uns auf eine Wiese, worauf riesige, über 5 Meter hohe abgebrannte Streichhölzer stehen.

Porczak
 

Der Symbol- und Deutungsgenerator im Kopf wird in Gang gesetzt. Sind sie Elemente unserer Welt, gesehen durch das Vergrößerungsglas, Monumente des Alltags, des Banalen, gemäß der Lektion der Pop-Art? Oder sind sie eher – wie die Kunstgeschichte vorsagt – Vanitas-Symbole, Zeichen der Vergänglichkeit, Vergeblichkeit und Eitelkeit?
Der Kunstgriff, Alltagsobjekte auf das Podest der Kunst zu stellen, hat jedoch durch die inflatorische Verwendung die Kraft der ursprünglichen Provokation verloren. Und die Vanitas? Dass alles vergänglich ist, ist selbst ein Geneinplatz, an den wir uns nicht gerne erinnern, zumal das Versprechen einer anderen Welt, die uns für die vorläufige irdische Mühsal entschädigen sollte, nicht besonders glaubwürdig erscheint.
Darum wollen wir nun weiter die Welt dieser Riesen besichtigen, die uns die Streichhölzer als Zeichen hinterlassen haben. Bald merken wir, dass diese ersten allgemeinen Deutungsversuche nur ein Vorspiel zum Streichholz-Projekt sind, in dem demonstriert wird, wie ein banales und gleichzeitig symbolisch besetztes Objekt seine Bedeutung jedes Mal aus dem jeweiligen Umfeld gewinnt.

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Ein einsames Streichholz in der Gebirgslandschaft, dessen schwarzer Kopf hoch in den Himmel ragt, ist groß wie ein Baum: Der Baum, der zuvor im Sägewerk zum Kantholz bearbeitet wurde, findet jetzt zu seinem Ursprungsort zurück, und präsentiert sich als eine ironische Version von Caspar David Friedrichs „Kathedrale“.
Drei andere, von einer Metallkonstruktion gestützte Streichhölzer, aus Metall und aus Holz, zielen schräg in den Boden gerammt in die Ferne, wie Raketen auf einer Abschussrampe; sie sind bereits abgebrannt, noch bevor sie überhaupt abgefeuert wurden.

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Die nächste Szene spielt sich in einem Kurort ab. Auf dem Rasen steht eine riesige Schachtel mit einem Etikett „Kunst und Kur“. Nur zwei Zündhölzer stecken noch drin und auch sie sind mitsamt der Schachtel verbrannt, ohne vorher zu irgendeinem Einsatz gekommen zu sein.
Und jetzt sind wir in einer Kunstgalerie: Über den Boden verstreute abgebrannte Streichhölzer – „Victoria“. Hier spielt der Kunst-Kontext mit, denn die Kunst war und ist oft der Schauplatz der Heroisierung und Ideologisierung des Krieges. Dieses Feld nach der Schlacht könnte ein ironischer Kommentar zu Historienbildern sein, die auf Wänden der Museen die heroischen Taten verherrlichen.

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Durch das Erfinden immer neuer Situationen, in denen das abgebrannte Streichholz verschiedene Rollen spielt, lädt Porczak den Betrachter ein, sich selbst an weiteren Inszenierungen zu versuchen. Diese Szenarien müssen keine Fantasien bleiben: Porczak produzierte auch Streichhölzer im kleineren, ins Wohnzimmer passenden Maßstab eines Do-it-yourself Bausatzes.
Das ganze Projekt ist ein Spiel, in dem sich ein Streichholz (Spielstein) in verschiedenen Kontexten bewegt, ein Spiel, das vom Künstler entworfen und mit ein paar Beispielen (Anleitung) ausgeliefert wurde.
Die künstlerische Strategie Porczaks bedient sich zwar traditioneller Mittel – er stellt Objekte her und präsentiert sie im öffentlichen Raum oder in einer Galerie – die Idee dieser Arbeiten gehört aber zur neuen medialen Welt, der Welt der interaktiven Kunst-Spiele.

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Das Feuer – in den „Streichhölzern“ als Brandspur anwesend – ist ein radikales Mittel, das Porczak in vielen seiner Arbeiten dort einsetzt, wo er provozieren, den Weg für Gedanken freimachen und die Betrachter/Teilnehmer zu Entscheidungen führen möchte. Eine seiner ersten Performances trug den Titel „Hexenverbrennung“. Nachts, auf einer Wiese, wurden trockene Äste mit daran befestigten Papierschildern mit verschiedenen Kunstbegriffen in den Boden gesteckt. Die Teilnehmer sollten selbst entscheiden, welche für die Kunst besonders schädlichen oder überflüssigen Ideen verbrannt werden können.

     
 

Antoni Porczak, geb. 1945 Bildhauer, Zeichner, Performer, Multimedia-Künstler und Kunsttheoretiker. Professor an der Akademie der Schönen Künste Krakau, Mitbegründer des Faches Intermediale Kunst.
1988 repräsentierte er Polen auf der Biennale in Venedig.
„Streichhölzer“ wurden 1987-1992 realisiert.

     
 

Fotos: A. Porczak
www.porczak.pl

 
     

 

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