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Nähen für das Feuer

Eine Ausstellung von Krystyna Damar und Wojciech Sztaba (Fotos)
Böblinger Kunstverein, "Schleuse 16", 15.2.-8.3.2009

Einführung von Gabriele Pfaus-Schiller:

Stulecie

 


Ich möchte Sie zu einem Fest begrüßen. Eingeladen hat das in Herrenberg lebende Künstlerpaar Krystyna Damar und Wojciech Sztaba.
Was ist der Anlass, was feiern wir? Darüber kann uns diese Installation mit Bildern etwas berichten.
Sie sehen eine lange Reihe von Rechtecken, in allen erdenklichen Farben und Mustern, auch Motive sind eingestreut. Es handelt sich um Patchworkarbeiten, die von Krystyna aus textilen Stoffen und Stoffresten genäht wurden. Genau genommen nicht um die Arbeiten selbst, sondern um Farbdrucke der Näharbeiten, die von Wojtek fotografiert wurden.
Denn diese Installation ist seine Nacherzählung von etwas, das Krystyna gemacht hat.
„Nacherzählung einer Huldigung“ heißt es ja im Ausstellungstitel. Bei näherer Betrachtung der Drucke ist man fasziniert von der Vielfalt der Stoffe, die hier Verwendung fanden. Man erkennt Muster wieder, vielleicht aus eigenen Jugendzeiten oder von Reisen. Man findet Motive, die eigene Geschichten – Nacherzählungen von Geschehnissen - hervorbringen.
100 solche Patchworkbahnen hat Krystyna genäht, zwei Jahre hat sie dafür gebraucht. An der Wand hängen 99 der Näharbeiten als kleine Laserdrucke, aufgereiht wie die Seiten eines Katalogs, gegenüber findet sich die 100. als Abdruck auf Büttenpapier in Originalgröße.

Stulecie

Wie mögen die hier abgebildeten Werke entstanden sein? Welche Materialien wurden verwendet? Wurden Stoffe eingekauft, sorgsam ausgewählt, abgemessen, komponiert, damit ein schönes Werk daraus entstehe, so wie man es in Ausstellungen häufig sieht? Patchwork – oder Quilt, wie man heute sagt.
Nein, es war alles ganz anders. Krystyna hat nicht ausgewählt. Sie hat genommen, was man ihr gab, nachdem sie Verwandte und Bekannte nach abgelegten Kleidern und Wäschestücken gefragt hatte, ohne zu verraten, wofür sie diese benötigt. Sie erhielt Dinge aus Stoff, die ganz bestimmt nicht mehr gebraucht oder getragen werden sollten. Stoffe also, die weggeworfen worden wären. Dies waren Kleidungsstücke, Wäsche, Gardinen, Tischdecken, Taschentücher, Servietten, Polsterbezüge, Seidenfutterstoffe, ein Regenschirmetui mit einer Figur darauf, Öko-Einkaufstaschen. Dinge des Alltags also, ohne die unser Leben ziemlich kühl und karg wäre. Dinge, die Impressionen und Assoziationen des Alltags enthalten und hervorbringen.
Vor zwei Jahren beendete Krystyna die Arbeit an den 100 Bahnen. Warum 100 Stück?
Das ist Teil der Huldigung: Im April 2007, also zum Zeitpunkt der Fertigstellung, wäre ihre Mutter 100 Jahre alt geworden. Das Nähen ist eine Huldigung an die Tätigkeit der Mutter: sie war Theaterschneiderin.
Die genähten Werke auf der einen Seite, auf der anderen das lodernde Feuer, Flammen, welche die Stoffe sengen und schlucken. Bilder der Zerstörung, erschreckend zunächst. „Nähen für das Feuer“ lautet ja der Titel der Installation.

Dann kam also vor zwei Jahren der Zeitpunkt, an dem Krystyna die Stoffbahnen einpackte und in ihre Heimat nach Polen reiste. Eine Feier wurde veranstaltet. Ihre drei Schwestern und Wojtek nahmen daran teil. Alle Bahnen wurden dem Feuer überantwortet.
Was hat es mit dem Feuer auf sich? Oder noch direkter gefragt: Wie kann man so was Schönes verbrennen?
Erinnern wir uns: Es handelt sich bei den Materialien um Kleidung und Wäschestücke, die weggeworfen werden sollten. Abgenutztes Zeug, das zu nichts mehr dienlich war. Seine Existenz wäre mit dem Wegwerfen beendet gewesen.
Krystyna hat diesen Stoffen durch ihre zwei Jahre lange Arbeit eine neue Existenz gegeben.
Und erst nach dieser Zeit des Nähens setzte sie dieser Existenz mit dem Feuer ein feierliches Ende. Ohne dass freilich dieses Ende ein endgültiges wäre.
Man mag, soweit es in der Abbildung möglich ist, über technische Randbedingungen ihrer Entstehung, ihre Qualität oder modische Aktualität räsonieren. Ohne dass dies näheren Aufschluss gäbe über den Anlass und die Art des eingangs angekündigten Festes.
Interessiert uns, was die Stoffe und die daraus genähten Bahnen zu erzählen haben, ihre Schönheit, ihre Geschichte? Oder etwas anderes? Zwar wurden sie einst, wie Kunstwerke auch, handwerklich hergestellt, oft sind sie kunstvoll gewoben und bedruckt. Doch indem sie Teil der genähten Stoffbahnen wurden, darin aufgingen, Teil des Kunstwerks wurden, endete ihr Dasein als Gebrauchsgut. Dessen Bedeutung schwindet, wenn es verbraucht ist und weggeworfen wird.

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Im Kunstwerk hingegen wird nicht allein das genähte Werk bewahrt, sondern auch das Geschehnis, der Prozess, in dem die Stoffbahnen entstanden sind. Eine ganze Welt also. Sie öffnet sich dem Betrachter im Kunstwerk. Es spricht uns an, wir können ihm betrachtend antworten. Wir können der Geschichte, der Nacherzählung lauschen von dem, was in diesen zwei Jahren des Nähens geschah.
„Es war keine Arbeit“ sagt Krystyna. Eher eine Art Stimmung, in der sie sich nähend befand. Ein Zusammensein mit den Menschen, von denen sie die Stoffe erhielt. Vor allem aber mit ihrer Mutter, die früh starb.
Und nichts musste schön sein, zusammenpassen, weder farblich noch im Muster. „Nicht die Stoffbahnen, sondern das Feuer sollte schön sein!“ sagt Krystyna.
Wenn wir die Bilder vom Feuer betrachten, dann erfasst uns tatsächlich ein wenig von diesem feierlichen Ernst, der in den Arbeiten steckt. In der großen Fotoarbeit von Wojtek kehrt ja sogar das Patchworkartige der Näharbeiten wieder. Wojtek erzählt die Geschichte von Krystyna mit seinen Worten, also fotografisch, nach. Auch mit den Fotografien im Café: da findet man die Stoffbahnen aufgetürmt wie zu einem Denkmal, oder einige vergrößerte Details, wie zum Beispiel einen chinesischen Kulturbeutel.

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Auch Krystyna widmet sich sonst in ihrer künstlerischen Arbeit der Fotografie, daneben der Collage mit Spielkarten. Die Näherei hingegen hat nicht unmittelbar etwas mit ihrer Arbeit zu tun, dafür umso mehr mit ihrer eigenen Geschichte.
Wir müssen uns also bei ihr bedanken: mit dem Zeigen der Näharbeiten gewährt sie uns ein Stück weit Einblick in eine Beziehung und in einen Abschied, lässt uns teilhaben an der eigenen Erinnerung an die Mutter. Jeder Mensch gestaltet dies auf seine Art. Aber nicht immer lassen wir etwas darüber verlauten.
Nun ist vielleicht zu verstehen, warum ich diese Ausstellung zum Fest erklärte.
Und auch, was das Feuer zu bedeuten hat: Es ist das uralte, immer wieder gern gebrauchte Element, um einem Ereignis Würde und Feierlichkeit zu verleihen. Es ist das Element, das bekräftigt, reinigt, wärmt und verbindet.
Durchs Feuer gehen wir, um zu finden. Was wir finden, das richtet sich danach, was wir gesucht haben.

 

Krystyna Damar, Nähen für das Feuer
Januar 2008, Bishof-Moser-Haus, Stuttgart, Einführung von Wojciech Sztaba
Mai 2010, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung, Heilbronn