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Gunhild Pohl
Kompositionen mit Figuren

PL

Sie sind mit Reden beschäftigt, sie achten nicht auf den Betrachter, der vor dem Bild steht, im Schatten, außerhalb des Lichts der Lampe oder Kerzen. Worüber reden sie? Ist das wichtig? Auf dem Tisch liegt eine Rose – wer brachte sie, für wen, in wessen Namen? Auf einem anderen ein zusammengerolltes Blatt Papier – betrifft es die Person, die vor dem Tisch steht? Ihre Unsicherheit steckt den Betrachter an. An einem anderen Tisch würfeln zwei Personen, ein Mann und eine Frau, die Würfel liegen nun vor ihnen – nach dem Willen der Künstlerin bleiben sie auf dem Tisch, für immer, wie die Rose, wie das Blatt Papier. In stillen Gesprächen könnte es um Erinnerungen gehen, vielleicht um Vorwürfe, vielleicht um Lügen oder um Smalltalk, um etwas wegzuschieben oder zu umgehen.

Es gibt viele Möglichkeiten, ins Bild „einzusteigen“ – eine besteht darin, sich am Gespräch zu beteiligen. Das Gespräch mit dem Bild ist imaginär, praktisch unmöglich, ist doch nur eine Metapher, der innere Monolog des Betrachters. Aber die Erfahrung des Gesprächs ist real.

Der Ton der Gespräche ist rau, direkt, Worte und Sätze spiegeln sich in schweren, wie geschnitzten mit entschiedenen Pinselbewegungen und kräftigen Farben der Figuren wider. Die Worte bleiben unausgesprochen, aber doch sichtbar, voller Spannung und Betonung, ergänzt durch unterbrochene Gesten, in der Luft angehaltene Handbewegungen.

Aber es kommt vor, dass die Personen auf den Kompositionen sich weigern, am Gespräch teilzunehmen. Sie drehen sich seitwärts zum Betrachter-Gesprächspartner, schauen irgendwo zur Seite, außerhalb des Bildausschnitts, gehen an uns vorbei, als würden sie uns nicht bemerken, sitzen vor uns im Zug und starren aufs Smartphone, oder auf das, was sich außerhalb des Fensters befindet, oder beschäftigen sich mit Gedanken und kämpfen gegen die eigenen Dämonen , die hinter dem Rücken lauern. Doch die verborgene Präsenz des Gesprächs bestimmt das Feld des Bildes, gibt ihm Spannung und Bedeutung.

Und dann stehen plötzlich die Gesprächspartner direkt vor uns, von Angesicht zu Angesicht. Mit einem schweren Kopf und einem schweren Blick, der lange kaum auszuhalten ist. Manchmal gönnt uns die Malerin ein Moment der Leichtigkeit und lasst eine Frau über das Meer, den Strand und einen sonnigen Tag erzählen. Schwieriger wird es, wenn man gezeichneten Köpfen begegnet. Sie konfrontieren den überraschten Gesprächspartner mit ungezähmten Gesichtsformen, gezeichnet wie von einem Kind, mit verkürzten Kritzeleien, brutalen Strichen wie Wunden und Kratzern auf dem Papier anstelle von Augen, Mund und Nase. Das Schweigen dieser Köpfe – „Porträts“ – ist aber genügend beredt.

Wojciech Sztaba, November 2022


 
 
     
     
     
Gunhild Pohl

geb. 1944, studierte 1981-87 an der Städel-Abendschule Frankfurt am Main, seit 1984 stellt ihre Werke aus, u.a. in Bunkier Sztuki in Krakau 2002, wohnt in Friedrichsdorf/Taunus.

     
Reproduktionen © Gunhild Pohl    
 
     

 



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