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Spielkarten-Collagen

Ausstellungsansicht

Einführung von W. Sztaba in die Ausstellung der Spielkarten-Collagen von K. Damar im „Bischof-Moser-Haus“, Stuttgart, Oktober 2004

Im Kartenspiel, dieser Metapher für das menschliche Leben, finden wir tatsächlich alles. Es ist ein wahrer Mikrokosmos, in dem sich - wie  in einem Spiegel - das ganze Leben zeigt. Wir sehen dort das ewige Spiel von Gewinnen und Verlieren, wir sehen diejenigen, die hoch, und diejenigen, die niedrig ansetzen. Die den Mut zum Risiko haben oder die falsch spielen und betrügen müssen. Wir sehen Leidenschaft, Sucht, Kalkül, Magie, und den Glauben an Strategien. Mitspieler und Gegner. Einer gegen alle. Hoffnung. Illusionen. Offen auf den Tisch legen. Alles auf eine Karte setzen. Noch einen Joker haben. Jemandem in die Karten gucken. Die letzte Karte ausspielen. Ich gehe mit. Ich passe.

Aber auch anders: Das Kartenspiel als eine Pause, als Ablenkung. Einfach ausspannen, sich sammeln. Oder noch anders: Die Karten nach dem Schicksal befragen.

König, Dame, Bube und der Joker spielen in Begleitung von Symbolen und Zahlen die alte Geschichte von Macht, Liebe und Intrige, wunderschön in diesen kleinen Bildern umgesetzt. Die Stücke, in denen sie spielen, heißen Bridge, Skat, Rommé, Canasta oder Solitäre; die Gesichter, Attribute und Kostüme ändern sich etwas im Laufe der Zeit - aber das Wesentliche bleibt, als ob die Spielkarten ein Teil der Natur wären.

Zu der Metapher des Kartenspiels gehört auch das, was mit den Karten geschieht. Ihre Geschichte fängt an, wenn sie zum ersten Mal aus der Schachtel herausgenommen wurden - und endet, wenn sie alt, schmutzig und klebrig für kein Spiel mehr taugen. Es gibt Kartenspiele, die ein extrem kurzes Leben haben, die nur einmal im Casino auftreten dürfen, und solche, die unzählige Male in Solitär-Reihen ausgelegt werden, bis die Farben und Bilder verblassen und die Oberfläche abgerieben wird. Altpapier - das ist das Ende eines Kartenspiels.

Sollte man dann ein altes, ausgedientes Kartenspiel einfach wegwerfen? Die meisten Kartenspieler haben hier keine Skrupel und der abgenutzte Satz endet im Mülleimer. Aber manche müssen wohl die magische Ausstrahlung der alten Kartenspiele spüren; sie zögern mit der Entscheidung, und die Karten werden zuerst in der Schublade versteckt oder liegen dann auf dem Flohmarkttisch, wo sie vielleicht eine neue Chance bekommen, als ein Sammlerstück weiter leben zu dürfen.

Genau in diesem Moment fängt Damar ihr eigenes Kartenspiel an. Die Karten, ob alt oder neu, bekommen eine neue Identität. Bevor sie die Karten in ihre Sammlung aufnimmt, erklärt sie die alte Spielordnung für ungültig, sie zerschneidet die Karten, locht sie, so wie man Eintritts- oder Fahrkarten entwertet. Die alte Ordnung der Karten wird aufgehoben, die Spielregeln sind außer Kraft gesetzt.

Die neue Identität des Sammlerstücks ist zuerst formaler Natur. Die Karten ordnen sich zu eigenständigen Bildtafeln, zu Ornamenten, worin es nicht ums Gewinnen, sondern um Komposition, Form und Farbe geht. Es entstehen immer neue, überraschende Variationen, von streng symmetrischen, kaleidoskopischen Inszenierungen, die sich zu Kreisen, Rechtecken, oder Labyrinthen formen, bis hin zu scheinbar zufälligen Konstellationen der wie in einem Würfelspiel auf den Hintergrund geworfenen Fragmente. Der Einbruch des Chaos scheint der Sammlerin willkommen zu sein, er ist der Gegensatz zum ursprünglichen Muster, eine explosive Befreiung von den alten Regeln.

In diesem Spiel können die Rückseiten der Karten vielleicht wichtiger sein als die Figuren und Zahlen, weil sie besser zum Aufbau des Bildes passen. Die Figuren bleiben also versteckt und der Joker muss als einziger Schauspieler aus der ganzen Mannschaft alleine auftreten. Die Symbole und Zahlen befreien sich vom Kartenbild, wandern über den Hintergrund, greifen die „fremden“ Karten an, oder gesellen sich zu ihnen, machen Frieden und heben endlich die Unterschiede auf.

Neue Konfigurationen, neue Paare werden gebildet, manchmal mit Gewalt: zerschnitten mit der Zick-Zack-Schere und zusammengeklebt, entstehen Mischwesen, die die alten Bilder zu mokieren scheinen. Das ohnehin künstliche Kartenbild wird noch künstlicher.

Die metaphorische Bedeutung des Kartenspiels bekommt durch diese Manipulationen sogar neue Facetten. Auch wenn man vor allem die Vielfalt der Formen und den Witz dieser einmaligen Sammlung bewundert, sucht man doch nach Bedeutungen, so wie man es bei einem Wahrsager-Kartenspiel tut: man versucht Zusammenhänge in dieser Vieldeutigkeit festzustellen, man probiert verschiedene Lesearten, man stellt Fragen und glaubt Hinweise für die Zukunft zu bekommen.

Krystyna Damar hat für uns die Karten neu gemischt und neu gelegt.