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Adam Löffler: DIE BÖCKE

 

Wojciech Sztaba:
Eröffnungsrede zur Ausstellung in der Galerie KunstWerk in Friedberg/Bayern
4. Mai 2002

Sehr kurz kann ich mich nicht fassen - angesichts der vielen, vielleicht Hunderten von Jahren, die an dieser Ausstellung mitgearbeitet haben. Die Zeitangaben, die Sie unter jedem Objekt, jedem Stück Holz lesen, sind nur teilweise als eine übliche Datierung eines Kunstwerkes zu verstehen: denn an diesem Tag wurde das Stück gefunden, oder - der Tag war dem Künstler besonders wichtig. Das Alter jedes Objekts ist aber nicht wegzudenken, es gehört zum Objekt, es ist ja die Zeit, die diese Stücke eigentlich gestaltet hat.

Loeffler

Ich glaube, Sie haben schnell erkannt, was die Gestalt dieser Ausstellung, ihre Form, ihre Struktur bedeutet. Sie haben diese Struktur gewiss mehrmals gesehen, wenn Sie auf Ihren Kunstwanderungen Schlösser und Burgen besichtigt haben: dort, in dem obligatorischen Jagd-Zimmer oder -Salon hängen sie an den Wänden - die Jagdtrophäen, Reihen über Reihen, sauber präpariert, an Schildern befestigt und etikettiert mit Datum und manchmal auch dem Namen des prominenten Jägers, der das Wild mit dem prächtigen Geweih erlegt hatte. Nicht selten schmückt den Raum ein kurioses Mobiliar, Lampen, Stühle und Tische - alles aus Jagdtrophäen gefertigt!
Das ist also der Kontext, das Assoziationsfeld, in dem die Objekte dieser Installation, die Funde aus der Natur, diese an Schildern befestigten Wurzeln und Äste, wirken sollen. Der Künstler spart nicht mit ergänzenden Hinweisen, mit dem Titel der Ausstellung beginnend: "Die Böcke". Er steckt uns noch ein paar passende und weiterführende Texte hinzu, die sich um das Jagd-Topos drehen - manchmal im Kreis, wie im Fall des Ursprungs von der Redewendung "einen Bock schießen", wo die Meinungen geteilt sind. Sicher bleibt nur der damit gemeinte Fehler, was nicht nur in der deutschen Sprache vorkommt, denn auch auf Polnisch heißt es "Ależ pan byka strzelił"!

Was wurde hier gejagt? - Das Holz. Wer hat es gejagt? - Der Künstler - und Sammler gleichzeitig. Eine Jagd für andere Sammler, u.a. auch für uns, die Ausstellungsbesucher. Es wird ernst (es geht ja um Schießen und Töten) und andererseits - scherzhaft, wenn man mit der Jagdmetapher weiter spielt. Der Künstler scheint seine Installation unter die Obhut der Ironie gestellt zu haben.
Wir brauchen nicht daran erinnert zu werden, dass wir im Grunde immer noch Jäger und Sammler sind. Zivilisatorisch hochentwickelt, sind wir High-Tech Wesen mit Jägermentalität, die über Jäger-Verhalten Bücher schreiben und Talk-Shows halten. Die heutigen Jäger sitzen im Büro, gehen auf eine Party oder in eine Galerie, und fahren schnelle Autos auf der Autobahn. Weiterhin sammeln die neuen Jäger Trophäen, um über ihren Erfolg kund zu tun, und vielleicht, mit der Hoffnung, in magischer Weise dem "erlegten Tier" seine Kraft anzuzapfen: Wir alle treffen uns wieder auf dem Gemeinplatz "Jagd".

Ich könnte weiter die Gedanken um das Thema spinnen und mich mit der Jagd-Metapher befassen, gäbe es nicht den Untertitel der Installation: "Tagebuch der Holzwege". Wie passt das zum "Bock schießen"? Hier wurde ich stutzig, hier erwachten erst richtig meine verborgene, latente Jäger-Natur und die Lust nach der Spurensuche.
Also - ist der Haupttitel, die Glossen, die Zitate, die Forschung nach der richtigen Bedeutung einer Redewendung, das ganze kunstvolle und witzige Begriffs-Gebilde, die uns der Künstler zum Assoziieren frei gab - ist das alles möglicherweise nur eine falsche Spur? Wo komme ich denn hin, wenn ich sie weiter verfolge? An einen Gemeinplatz? Oder lande ich auf einem Holzweg?
Der Künstler/Jäger/Freischütz/Sammler Löffler hat mir Informationen zugeflüstert, hat mich fast überredet, nur die nahliegende Jagd-Rhetorik zu übernehmen und weiterzuführen. Einmal wurde der Künstler aber etwas unruhig, misstrauisch, als ich ihm von meinem Vorhaben erzählte, eine Sammlung von Wurzeln-Plastiken in der Schwarzwälder Gegend besuchen zu wollen. Ich wusste, was mich dort erwarten würde: mit Klarlack überzogene "herrliche Strukturen" zur Dekoration der guten Stube. Und er wusste es auch. Das wäre natürlich eine ganz falsche Fährte, eine ungewollte und unerwünschte falsche Fährte - denn, was wir beide auch wissen, die Klischees können sehr stark an Bildern haften. Diese Spur zu verfolgen - da hätte man am Ende tatsächlich einen Bock geschossen!

Loeffler

"Tagebuch der Holzwege" - es gab seinerzeit in Kunst-und Wunderkammern tatsächlich Bücher des Holzes, in buchförmigen Kästen aus Holz schloss man dort eine Baum-Dokumentation ein, Blätter, Blüten, Früchte etc. Hier, in dieser Installation, ist aus dem Buch des Holzes ein Tagebuch der Holzwege geworden. Der Ausdruck gehört zu einer anderen Metapher, einer anderen Poetik. Das ist ein anderer Topos, der Topos der Holzwege, und seine Bilder zeigen nicht das Jagen und Schießen, sondern das Durch-den-Wald streifen, auf den für das Holz-Machen zu bereitenden Wegen sich vielleicht verlieren - ohne verloren zu sein, und erneut versuchen den Weg zu finden. Ich vergesse also die erste (falsche?) Suche nicht, sie war wichtig, weil ich aus ihr heraus den anderen Weg fand. Und der andere Weg fängt einfach mit Staunen und Verwunderung an, und wenn wir aus diesem Zustand nicht herauskommen, dann, glaube ich, haben wir die richtige Fährte gefunden.

"Es ist nichts geändert worden, nichts zugefügt" - wohl aber: vom Künstler ausgewählt, der auf seinen Wanderungen das, oder ein anderes Stück Holz aus dem Wegesrand aufhebt. Diese Fundstücke bilden die Sätze, oder Eintragungen in sein Tagebuch; hier finden auch die Daten ihren ursprünglichen Platz.
Denken wir aber auch gleichzeitig an die ausgetrockneten, verwitterten, morschen, übrigen, nicht gemerkten, nicht gewählten Holzstücke, an die ganze Gattung der "Reste", an die "Baum-Knochen" auf dem Weg zwischen dem Leben und Zerfall. Einzelne Exemplare wurden vom Künstler bemerkt und aufgehoben - aber, bitte, denken Sie nicht, dass diese Exemplare dadurch in den Rang der Kunst aufgehoben worden sind, dass sie jetzt etwas Besseres sind als ein beliebiges dürres Hölzchen am Wegesrand! Kunst ist keine Stoff-Veredelung-Anlage (Klarlack) - sie zeigt nur, macht sichtbar, was schon vorhanden ist. Sie veredelt nicht, sie stellt nur eine Bühne zur Verfügung, auf der die Protagonisten ein Theater spielen. Die Kunst besteht darin, wie man die Protagonisten zum Spielen, zum Erzählen bringt. Das Theaterstück hat verschiedene Namen, die das gleiche bedeuten: Theater der Natur, Theater des Wundervollen, oder - das Buch der Natur. Sehen und lesen kann man dort, wie in jedem guten Buch, alles.
Es fängt mit einer erwarteten Nachahmung: die Natur ahmt die Formen der Natur nach, sie ahmt nach: die Stoßzähne, die Klauen, die Geweihe, die Hörner, auch die des mythischen Einhorns. Bald aber geht es weiter, zu einer tieferen Nachahmung (Mimesis), zu der Idee einer Urpflanze, zu der Kraft, die den Formen eine Form gibt.
Das Wachstum wird sichtbar gemacht; das ausgetrocknete Holz zeigt das Leben: das Fleisch, die Haut, die Sehnen, das Gewebe, die Zellen - all das liegt nackt und mikroskopisch vor unseren Augen. Wir sehen den Weg des Holzes durch harte Steine, jede der Windungen, jeden Abdruck, jedes Wundmal, jede Spur des Kampfes, der Überlebens-Taktik, des Suchen nach dem Wasser, nach dem Licht, nach dem Halt im Boden. Wir sehen das "Sich-Verbreiten", das Besetzen, das immer-neu-Anfangen, sich verknoten und wieder lösen, mit neuen Armen umarmen, betteln, drohen. Wir sehen die zerbrechlichen, dürren und doch starken kleinen Zweige - wie aus einer Seite eines Herbariums, die, wie Blutgefäße sich um den harten Holz-Kern winden.
Man staunt angesichts der Eleganz, Anmut, und Vollkommenheit dieser Formen, sie sehen wie Modelle aus einer Designer-Werkstatt, zweckmäßig und schön. Eine "Figura serpentinata", die aus einer Wurzel entstanden ist, hat ihre Anmut aber schwer und in vielen Jahren erkämpfen müssen und drückt diese dramatische Geschichte in ihrer Form gleich aus. (In diesen Formen nur abstrakte "Strukturen" zu sehen, wäre ein Spott).

Loeffler

Diese Geschichten vom Leben und Tod des Holzes sind universell. Sie liefern Bilder, die man Metapher-Generatoren nennen kann, und die wir gern auf unser Leben übertragen. Wir sehen diese Formen wie menschliche Figuren tanzen, sich in choreografischen und theatralischen Gebärden ausdrücken. Von tausend Argusaugen beobachtet, spüren wir die anziehende Erotik der glatten Flächen, das Spiel der Geschlechter, die sexuelle Symbolik, die an surrealistische Bilderfindungen denken lässt. Die Wirkung ist magisch, die beseelte Natur scheint am Ende selbst kleine menschliche Gestalten, Homunculi oder Alraunen zu gebären.
Während der Wanderung entlang an den Objekten dieser eigenartigen Galerie des Wundervollen zeigt sich allmählich ihr Sinn. Eigentlich sind es Objekte der Kontemplation. Sie sind da, um mit ihnen über die Welt nachzudenken, von Mikro- zum Makrokosmos und zurück zu wandeln. Man tritt in ein Labyrinth ein, man hat mehrere Wege zur Wahl, alle sind wichtig, auch die falschen.

Loeffler

  Fotos: Sztaba/Damar