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Wojciech Sztaba Bewegtes Leben

Aby Warburg. Mnemosyne Bilderatlas, ZKM Karlsruhe


panorama
   
 

Jede Tafel ist eine Sammlung von Bildern, die die Wanderung und Wandlung der Bildideen und Motive darstellen sollten – von der Antike bis zur Renaissance, und weiter bis zur Gegenwart. Die schwarz-weißen Reproduktionen sind am schwarzen Hintergrund befestigt, was dem Ganzen eine gewisse Strenge verleiht. Man nimmt zuerst den durch die Tafel gegliederten und rhythmisierten Raum, der uns einschließt, wahr. Hunderte von Bildern mit scharfen weißen Rändern leuchten und heben sich vom schwarzen unendlichen Hintergrund auf. Man spürt die Stille, die Ruhe, auch die Monotonie des immer gleichen Rhythmus. Eine Ausstellung vom Bildmaterial für eingeweihte Kunstspezialisten? Oder doch was anderes?

Die Idee, die durch diese ruhige Anordnung der Bilder durchscheint, ist alt und magisch, ein Traum von einem Ort, in dem das Gedächtnis Erinnerungen akkumuliert und zur Kraft wird. Der Renaissance-Gelehrter, Giulio Camillo, baute ein Theater der Erinnerung, sammelte dort das ganze Wissen in Bildern und Texten, und behauptete, dass jeder, der sich in die Mitte des Theaters stellt, dieses Wissen in sich aufnehmen könnte. Auch für Aby Warburg, den Gedächtnis-Fanatiker, war seine Kulturwissenschaftliche Bibliothek in Hamburg eine „Empfangsanlage für die mnemischen Wellen der Vergangenheit“.

Mnemozyne
   
 

Aby Warburg gab seinem Projekt der kunsthistorischen Bildersammlung einen langen und komplizierten Titel: „Mnemosyne, Bilderreihe zur Untersuchung der Funktion vorgeprägter antiker Ausdruckswerte bei der Darstellung bewegten Lebens in der Kunst der europäischen Renaissance“. Nicht einfach, um ihn im Gedächtnis zu behalten, obwohl das ganze Projekt der Göttin der Erinnerung gewidmet ist. Oder doch – versteckt sich vielleicht in der verschlungenen Formulierung ein mnemotechnischer Hinweis?

Man könnte den Titel als Teil eines Emblems verstehen, obwohl das zugehörige Bild fehlt und erst erfunden werden muss: Für mich ist es die Vorstellung einer Theaterbühne. Auf dem Bühnenrahmen steht oben die Inschrift „Mnemosyne“, die auch über dem Eingang zu Warburgs Bibliothek stand (über einem anderen Eingang sollte ein Bild von Franz Marc hängen, Stute mit Fohlen). Der Titel läuft über den Vorhang. Der Vorhang ist zweiteilig und leicht aufgezogen gezogen, so dass in der Öffnung in der Mitte auf der Bühne zwei Worte zu sehen sind, die den langen Satz in zwei Teile trennen: „bewegtes Leben“. Das „bewegte Leben“ ist der einzige Ausdruck, der in dem Titel an unsere Gefühle und Fantasie appelliert. Der Rest des Titels, links und rechts auf zwei Teilen des Vorhangs, besteht aus Wörtern, die den Intellekt beschäftigen, die über Vorbilder, Funktionen und kunsthistorische Systematik berichten.

„Bewegtes Leben“ kann man als Antonym vom „stillen Leben“ verstehen, vielleicht wollte hier Warburg an das Stillleben, stil leven in Holland, stil life in England anspielen. In Frankreich, auch in Italien oder Polen wird das unbewegte Leben auf Bildern mit leichtem Schaudern betrachtet – nature mort heißt es, die leblose, tote Natur, Vanitas. Anders als die meisten Gattungsnamen wie Akt, Porträt oder Genrebilder, die sachlich über Systematik berichten, vermitteln diese Ausdrücke auch psychische Zustände, wie Ruhe, aber auch Ängste.

Der Ausdruck „das bewegte Leben“ ist breiter als eine kunsthistorische Kategorie, weist auf ein mit Emotionen geladenes Bild, das im Zentrum auf der Bühne des Mnemosyne Projektes steht. Es geht um Motive, die starke Gefühle hervorrufen, Pathos-Formeln, um das Wilde, das triebhaft Verflochtene des menschlichen Geistes, das sich in ekstatischen Formen in den Bildern zeigt. Der Kunsthistoriker verlässt die Grenzen der Fachwissenschaft und wird zum Psychohistoriker, wie Warburg sich nannte.

  Teppich
   
 

Diese in den Bildern enthaltene Energie versuchte Warburg auch durch die Form der Tafel zu vermitteln. Seine Methode der Bildererzählung ist nicht linear, er konfrontiert die Zuschauer mit einer Gruppe von Bildern, die auf einmal, simultan, wahrgenommen werden. In dieser Leseart der Kunst ist jedes Bild ein Kontext für das andere und alle zusammen bilden ein Feld von Richtungen, Spannungen, Bedeutungen, Formen und Gefühlen. Fritz Saxl, Warburgs Mitarbeiter und Mitgestalter des Atlas, schrieb begeistert von dem Projekt: „(…) dass es sich hier um die beste Interpretation der Kunstwerke handelt“. Die Methode hat auch eine philosophische Konnotation, denn eine Bildergruppe erinnert an die Einheit in der Vielfalt. In einem Vortrag 1927 sagte Warburg: „in dieser Epoche eines chaotischen Untergangs auch der Schwächste verpflichtet ist, den Willen zur kosmischen Ordnung zu verstärken“.

  kwartet
   
  Manet
 
  Tafel
 
 

Den Rundgang durch den Mnemosyne Bilderatlas schließen die Kuratoren mit einer Art Nachwort in Form eines symbolischen Raums, den sie Studiolo nennen. Das Studiolo war in der Renaissance ein Ort des Studiums und der Meditation, für Gelehrte und die sich als Humanisten betrachtenden Herrscher. Darin gab es Bücher, Sammlungen von Objekten der Kunst und Wissenschaft, auch Porträts berühmter Menschen. Das Studiolo im ZKM, das an Aby Warburg und seinen Atlas erinnert, besteht auch aus Büchern, einer Tafel mit den Originalabbildungen aus dem Warburg-Institute in London, Objekten, Porträts, und einem aus der Decke hängenden Tisch des Gelehrten (das bewegte Wissen?). Der Raum hat ein Fenster, man sieht dadurch die schöne Venus von Botticelli, das Bild ist auf Stoff gedruckt, und bewegt sich, wie eine Fahne oder Draperie im Wind.

  studiolo
   
  Venus
 
   
  Fotos: Wojciech Sztaba, 30.8.2016
   
 

Aby Warburg. Mnemosyne Bilderatlas
ZKM Karlsruhe
1.9. - 13.11.2016
Kuratiert von Roberto Ohrt und Axel Heil, 8. Salon Hamburg
http://zkm.de/event/2016/09/aby-warburg-mnemosyne-bilderatlas

 

Die Fotodokumentation der Tafel in The Warburg Institute Archive auf dem Portal "engramma": http://www.engramma.it/eOS2/atlante/

 

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